Tiefbohrungen

Energie, die aus der Tiefe kommt

In Tiefen von 1000 – 1500 m Tiefe, in der Temperaturen im Oberrheingraben von bis zu 120°C herrschen. Das sich in den Sonden befindende zirkulierende Wasser erwärmt sich und kann an der Oberfläche entweder direkt oder mit nachgeschalteten Wärmepumpen zur Energiegewinnung für Heizung und Wassererwärmung genutzt werden. Das relativ hohe Energiepotential bedingt, aber große Wärmeverbraucher, wie z.B. Mehrfamilienhäuser, Wohn- und Industriekomplexe oder Gewächshäuser.

Hohe Anforderungen an die Anlagentechnik

Die hydrogeothermische Energieerzeugung stellt hohe Anforderungen an die Anlagentechnik. Grund sind oft hoch mineralisierte, stark korrosive Thermalwässer und extreme Förderdrücke. Für funktionssichere und damit wirtschaftliche Kraftwerke ist die Analyse der individuellen Risiken und Chancen eines Standorts zentral. Mit dem neuen Erneuerbaren-Energien-Gesetz EEG 2009 wurden wirtschaftliche Rahmenbedingungen geschaffen, die Energiegewinnung auf klimafreundliche Technologien umzustellen. Besondere Fördermöglichkeiten und Einspeisvergütungen haben auch die Energiegewinnung mit Tiefengeothermie-Kraftwerken zu einer wirtschaftlichen Alternative werden lassen. Dem gegenüber stehen besondere korrosive, hoch mineralisierte Fluide und die benötigten hohen Förderdrücke stellen eine technische Herausforderung für das Anlagensystem zur geothermischen Stromerzeugung dar, sagt Rene Schiemann, Geothermie–Spezialist von TÜV Süd Industrie Service. Vor allem wegen der hohen Investitionskosten der Entwicklung eines geothermischen Kraftwerkstandortes mit einer Bohrtiefe von oft mehreren Kilometern müssten die möglichen Risiken in allen Projektphasen erfasst werden. Ziel sei es, die Zuverlässigkeit, Sicherheit und somit auch die spätere Effizienz und Wirtschaftlichkeit eines Kraftwerks von Anfang an systematisch zu optimieren, so der Experte.

1500 m Geothermiebohrung in Kaiserslautern

1500 m Geothermiebohrung in Kaiserslautern

Kein Wärmereservoir gleicht dem anderen

Die Anforderungen an Anlagentechnik und Komponenten eines geothermischen Kraftwerks sind stark standortabhängig. Für die Energiegewinnung werden bei der hydrothermalen Geothermie heißwasserführende Schichten angezapft, so genannte Aquifere. In Deutschland finden sich diese vorwiegend in süddeutschen Molassebecken, im Norddeutschen Becken und im Oberrheingraben. Schiemann: „Je nach Region und geothermischen Reservoir treten geologisch grundsätzlich unterschiedliche Aquifer Eigenschaften und geochemische Zusammensetzungen der Fluide auf. Die Thermalwässer sind je nach Bohrtiefe mehr oder weniger salzhaltig, bis hin zum Zehnfachen des Meerwassersalzgehalts.“ Infolgedessen muss die gesamte Infrastruktur einer Geothermie Anlage wirksam geschützt werden – zum Beispiel gegen Korrosion und Scaling. Rohrleitungen, Pump-, Aufbereitungs- und Filtrationsanlagen sowie alle Anlagenmodule der Förder- und Injektionsbohrungen müssen entsprechend geeignet sein. Insbesondere für die hydrogeothermische Stromproduktion sind aufgrund der zusätzlichen Anlagentechnik zum Teil Sonderspezifikationen nötig.

Stromerzeugung mit dem Kalina – Verfahren

Wenn in den Sommermonaten statt Nah- oder Fernwärme eher Strom benötigt wird, kann aus dem System auch Wärmeenergie zur Stromerzeugung ausgekoppelt werden. Eine Möglichkeit ist das von Siemens patentierte Kalina – Verfahren. Dabei wird die Wärme des Thermalwassers an einen zweiten Kreislauf weitergegeben, der ein Ammoniak-Wasser-Gemisch enthält. Das Zwei-Stoff-Gemisch siedet bereits bei relativ niedrigen Temperaturen und der entstehende Dampf treibt eine Turbine zur Stromerzeugung an. Durch das Kalina-Verfahren lassen sich thermodynamisch höhere Wirkungsgrade erzielen als bei dem bisher verbreiteten Organic-Rankine-Cycle Verfahren (ORC). Beim ORC-Verfahren erreicht das Arbeitsmedium nur an einem Punkt der Temperaturskala ein Höchstmaß an Energieeinhalt (Enthalpie), während bei dem Kalina – Verfahren hohe Enthalpie über einen breiter streuenden Temperaturbereich besteht. Aufgrund der korrosiven Wirkung des Ammoniak Wasser-Gemisches muss das gesamte System des Sekundärkreislaufs anlagentechnisch entsprechend spezifiziert werden.

Ölbohrung in Soufflenheim

Problematisch: Korrosion und Ablagerungen

„Für eine wirtschaftliche Stromerzeugung sind Produktionshorizonte meist in Tiefen von 3000 bis 4000 m und tiefer zu erschließen. Je nach Lage sind aus den Tiefenbohrungen Thermalwässer mit Temperaturen von 100°C bis über 150°C zu fördern, “ so Schiemann weiter. Auch hänge es von der Mineralisation des verwendeten Thermalwassers und eventuell enthaltener Gase ab, welche Stoffe sich in der Geothermie Anlage hydrochemisch abscheiden könnten. Die mögliche Folge seien verschiedene Formen von Korrosion und Scaling. Neben unterschiedlichen Gehalten an Gasen wie Methan oder Kohlendioxid
gefährden oft auch Chlorid reiche Wässer die Werkstoffbeständigkeit. „Die Chlorverbindungen greifen die Passivschicht des Stahlwerkstoffs in Abhängigkeit der Legierungsbestandteile an. Zusätzlich können Lochkorrosionen in der Wärmeeinflusszone von Schweißnähten auftreten, “ weiß Schiemann zu berichten. Weitere Risiken seien zum Beispiel Schwefelwasserstoff-Konzentrationen, die eine Werkstoffkorrosion durch die chemische Reaktion mit metallischen Oberflächen verursachen könnten. Bei Mineralisationen von 100 bis 250 g/l und mehr, wie sie im Oberrheingraben, aber auch im norddeutschen Becken vorkommen, seien im Primärkreislauf außerdem Ablagerungen durch massive Ausfällungen und so genanntes Scaling möglich, so der Geothermie-Fachmann.

Förderraten und Mineralisation ermitteln

Um die Druckspiegelhöhen im Kraftwerksbetrieb planen zu können, werden in der Praxis zunächst umfangreiche Pumptests durchgeführt, Erst nach Auswertung der Testergebnisse lässt sich die künftige hydraulische Situation sowie die Mineralisation näher erkennen und die Pumpenanlage passend auslegen. Zwei zentrale Erfolgsfaktoren für eine hohe Anlagenverfügbarkeit sind die ganzheitliche verfahrens- und anlagentechnische Ergebnis-Analyse sowie ein exakt darauf abgestimmtes Engineering. Laut Schiemann muss die individuelle Beschaffenheit des geothermischen Reservoirs stets berücksichtigt werden: „Bei der Förderung der Fluide im Oberrheingraben können die Druckspiegel der stärker gespannten Aquifere bis auf Niveaus wenig unterhalb der Geländeoberfläche anstehen. Im Malmkarst hingegen liegen die Druckspiegel oft mehrere 100 m unter Gelände. Hier müssen
besonders druckleistungsstarke Förderpumpen verwendet werden. Für den Primärkreislauf eines Geothermiekraftwerks sind daher im Malmkarst tendenziell hohe Förde drücke aufzubringen, während im Oberrheingraben hohe Reinjektionsdrücke benötigt werden.“ Was folgt daraus für die benötigten Pumpen, Rohrleitungen und Anlageteile? Sowohl bei der Festigkeit und Dauerhaltbarkeit als auch bei der Korrosionsbeständigkeit sind die Anforderungen zum Teil extrem hoch – etwa was die Beschaffenheit von Werkstoffen und Bauteilen betrifft. Eine sorgfältige Auswahl anhand einer „Wirksummenbeurteilung“ ist notwendig, entsprechend müssen die Komponenten individuell ausgewählt, dimensioniert und wo nötig angepasst werden. Eine verfahrens- oder anlagentechnische Kontrolle sollte darüber hinaus mögliche chemische Ausfällungsreaktionen im System einbeziehen. Im Hinblick auf einen dauerhaft zuverlässigen Anlagenbetrieb empfehlen Experten den Anlagenbetreiber, entsprechende Kontroll- und Monitoringsysteme an kritischen Anlagenteilen – wenn notwendig individuell zu entwickeln und einzubauen.

Ganzheitliche Schwachstellenanalyse

Technische Berater und Zertifizierer wie TÜV Süd Industrie Service verfügen über langjährige Praxiserfahrungen in korrosionschemichen Prozessen sowie entsprechenden Anlagen und Kraftwerken. Diese Kompetenzen bringt TÜV Süd auch in das Engineering für Tiefengeothermie-Kraftwerke ein. Nach Erkenntnissen von Fachleuten wie Rene Schiemann hängt der langfristig zuverlässige und wirtschaftliche Anlagenbetrieb entscheidend von der Analyse der individuellen Risiken und Chancen eines Standorts ab. Hydrochemie, Werkstoffe und eine funktionssichere Anlagentechnik müssen deshalb bis ins Detail geplant und mit den passend dimensionierten Komponenten und Bauteilen realisiert werden. Von der Planung über den Bau bis zum Betrieb ist hierbei eine ganzheitliche Analyse und Bewertung – insbesondere möglicher Schwachstellen – die Grundvoraussetzung für eine hohe Anlagenverfügbarkeit.

Wann entscheiden Sie sich für eine Nutzung von Energie aus der Tiefe?